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David Mitchell: Der dreizehnte Monat

9,95 €
inkl. MwSt. zzgl. Versand

Beschreibung

David Mitchell

Der dreizehnte Monat
Roman

Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009, 496 Seiten

Preis: 9,95 € | Preise inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten

Hinweis: Bitte haben Sie Verständnis, dass Bücher aus Fremdverlagen bei uns ausschließlich an Inlandskunden verschickt werden können.

ISBN 978-3-499-24876-4

David Mitchell

Der dreizehnte Monat
Roman

Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009, 496 Seiten

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ISBN 978-3-499-24876-4

England, 1982. Im Dorf Swan Green wächst der 13jährige Jason Taylor auf: Er stottert und er schreibt Gedichte, die er unter Pseudonym veröffentlicht. Kein leichtes Leben für einen Pubertierenden. Und dann gibt es da noch die Scheidung seiner Eltern, eine Zigeunergruppe, den Krieg um die Falklands ...

Zusätzliche Produktinformationen

Autoren
Autoren David Mitchell wurde 1969 in Southport, Lancaster, geboren. Er wuchs in Malvern (Worcestershire) als Kind zweier künstlerisch tätiger Eltern auf. Später studierte er an der University of Kent in Canterbury Englisch und Amerikanische Literatur und erwarb einen M. A. in Komparatistik (Literaturwissenschaft). Anschließend verbrachte Mitchell ein prägendes Jahr als Englischlehrer auf Sizilien. Darauf übersiedelte er nach Japan, wo er seine Lehrtätigkeit an der Universität Hiroshima sechs Jahre lang weiterführte. Gegenwärtig lebt Mitchell im irischen Clonakilty, County Cork, mit seiner Frau Keiko; das Paar hat zwei Kinder. Werk Mitchell veröffentlichte seinen ersten Roman „Ghostwritten“ 1999 (2004 auf Deutsch unter dem Titel „Chaos“ erschienen). Charakteristisch für seine Bücher wurde die Aufspaltung einer Erzählung in mehrere Fragmente, die verschiedene Sichtweisen auf ein gleichbleibendes Thema ermöglichen. Gut erkennbar ist dies unter anderem in seinem bekanntesten Werk „Cloud Atlas“ (auf Deutsch unter dem Titel „Der Wolkenatlas“), das sechs Handlungsstränge aufweist, die alle eine eigene literarische Form besitzen und so ganz unterschiedliche Ansichten auf die gleichbleibenden Grundthemen ermöglichen. „Cloud Atlas“ diente als Vorlage für den gleichnamigen Film von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern aus dem Jahre 2012. David Mitchell stottert seit seiner Kindheit. In seinem 2006 erschienenen halbbiografischen Roman „Der dreizehnte Monat“ verarbeitet er sein Stottern, in dem sich ein dreizehnjähriger Junge nicht nur mit dem Erwachsenwerden, sondern vor allem mit seiner Sprechstörung auseinandersetzen muss. Mitchell ist ein Förderer der British Stammering Association (Britische Stotterer Selbsthilfe Organisation) und äußerte sich sehr positiv über „The King’s Speech“ von 2010, der sich als erster Film überhaupt umfänglich und vorurteilslos mit der Thematik auseinandersetzt und aufzeigt, welchen Einfluss das Stottern auf das Leben einer betroffenen Person haben kann.
Rezensionen
Rezensionen und Meinungen aus: Der Kieselstein, Februar 2008 Vom Treiben des „Henkers“ und anderen Nöten oder Was ist nur mit Jason Taylor los? Vorab und ganz offen: Ich bin begeistert. Dieses Buch habe ich verschlungen. David Mitchell steht mit seinem neuesten Werk auf Platz 2 der aktuellen Bestenliste der Kritiker. Aber auch der Publikumserfolg dürfte ihm gewiss sein. Sein letzter Roman, Wolkenatlas, von 2005, war ein internationaler Bestseller. Dieser britische Autor ist hochgeachtet. Die Neue Züricher Zeitung schrieb: „David Mitchell erforscht Seelen und schreibt Weltliteratur.“ Was für eine Seele aber erforscht er in Der dreizehnte Monat? Es ist die Seele eines 13jährigen Jungen zwischen Kindheit und Jugend und - die Seele eines Stotterers. Ein Buch, wie alle von Mitchell, für Erwachsene. Jason Taylor ist ein hochintelligenter Dreizehnjähriger in Black Swan Green, einem mittelenglischen Provinznest, der wie jeder in seinem Alter vom ersten Kuss mit einem Mädchen träumt, genau darauf achtet, was bei Gleichaltrigen gerade angesagt ist und was eher als peinlich, als schwul gilt, der ständig Streit mit seiner älteren Schwester hat und ahnt, dass es um die Ehe seiner Eltern nicht zum besten bestellt ist, der seinen Platz sucht in der Hierarchie der Jungen, der heimlich Gedichte schreibt (und sie unter Pseudonym in einem Kirchenblättchen veröffentlicht, denn das gälte, käme es heraus, als absolut oberschwul), sich mit Lehrern und anderen Erwachsenen herumärgert, kurz, Jason hat die gleichen Probleme wie alle – und eben noch ein ganz besonderes dazu: Das Stottern. Der Roman spielt 1982, die Thatcher-Regierung, der Falklandkrieg, die Musik jener Jahre, Zeitkolorit jede Menge. Die ZEIT schrieb kürzlich über dieses Buch: „David Mitchell ... einer der besten englischen Romanciers ... zeigt uns in einer Serie von dramatisch zugespitzten Anekdoten das ganze Spektrum von pubertären Verirrungen, Existenzängsten, moralischer Orientierungsversuche, erwachenden Lüsten, Feigheit, Mut und schlussendlicher Belohnung. Er zeigt es in jedem Einzelbild perfekt, er findet die Klammern, er gibt kein Motiv verloren, er bindet jeden losen Faden wieder ein ins Ganze.“ Jason Taylor nennt sein Stottern den Henker: „Fischmaul, gebrochene Nase, Nashornbacken, gerötete Augen, weil er nie schläft. In meiner Phantasie spielt er auf der Säuglingsstation im Preston-Hospital Ene mene muh. Er beugt sich über mich, tippt auf meine Dutzi-dutzi-Lippen und flüstert: Meins. Aber es ist nicht sein Gesicht, mit dem er sich bemerkbar macht, es sind seine Hände. Seine schlangenhafte Finger winden sich über meine Zunge und drücken mir die Luftröhre zu, bis nichts mehr geht. N-Wörter gehörten von Anfang an zu Henkers Lieblingswörtern. Als ich neun war, hatte ich ständig Angst, dass mich jemand fragen würde, wie alt ich bin. Ich hielt dann jedes Mal neun Finger hoch, als wäre das ein super Witz, aber ich wusste genau, dass der andere dachte: Warum sagt der Blödmann es denn nicht? Früher stand Henker auch auf Y-Wörter, aber seit neuestem lässt er sie durchgehen und hat sich dafür auf S-Wörter verlegt. Das ist schlimm. Man braucht nur ein Wörterbuch in die Hand zu nehmen und nachsehen, welcher Abschnitt am dicksten ist: S. Zwanzig Millionen Wörter beginnen auf N oder S. Abgesehen davon, dass die Russen einen Atomkrieg anfangen, ist meine größte Sorge, dass Henker sein Interesse für Wörter auf J entdeckt, denn dann kann ich nicht mal mehr meinen Namen sagen. Ich müsste eine Namensänderung beantragen, aber das würde Dad nie im Leben erlauben.“ Er ist immer mal wieder in Behandlung einer Logopädin, Mrs. de Roo. Im Buch eine durchaus kompetente Therapeutin, doch Jason meint: „Es gibt Sachen, die verstehen nicht mal Logopäden. Ziemlich oft, sogar in schlechten Phasen, lässt Henker mich alles sagen, was ich will, sogar Wörter, die mit gefährlichen Buchstaben anfangen. Das weckt a) Hoffnung in mir, dass ich geheilt bin, die Henker dann genüsslich zerstören kann, und lässt b) die anderen in der Schule glauben, ich sei normal, während ich weiter ständig in der Angst lebe, dass mein Geheimnis entdeckt wird. - Das ist noch nicht alles. Einmal habe ich Henkers Vier Gebote aufgeschrieben. 1. Gebot: Du sollst dich vor Logopäden verstecken. 2. Gebot: Du sollst Taylor die Kehle zuschnüren, wenn er Angst hat zu stottern. 3. Gebot: Du sollst Taylor hinterrücks überfallen, wenn er keine Angst hat zu stottern. 4. Gebot: Wenn Taylor vor der ganzen Welt als Stotterer dasteht, gehört er dir.“ Wird es öffentlich, sein vermeintliches Geheimnis? Manchmal will ein Wort einfach nicht raus, mitten im Schulunterricht. „Miss Throckmorton wartet. Jeder im Klassenraum wartet. Jede Kuh und jede Spinne in Black Swan Green wartet. Jede Wolke, jedes Auto auf der Autobahn, sogar Margaret Thatcher im Unterhaus horchte auf, sah mich an, erstarrte und dachte: Was ist bloß mit Jason Taylor los?“ Die Hierarchiescharmützel zwischen den Jungen der kleinen Stadt werden immer unerbittlicher. Jason Taylor wird „entlarvt“, verspottet und bei jeder Gelegenheit nachgeäfft, rutscht aus dem Mittelfeld ganz ans Ende der Skala des Ansehens. Seine Lage wird schier unerträglich. Er zieht sich in sich zurück, verbringt viel Zeit alleine in seinem Zimmer, und dort „fiel mir auf, dass ich nur in meinen Gedichten schaffe, genau das zu sagen, was ich sagen will.“ Bis Jason Taylor dann plötzlich voller Tatkraft etwas unternimmt, mit dem bei ihm niemand gerechnet hätte ... Jason gewinnt an Ansehen. Doch dadurch wird die Welt nicht plötzlich heil. Aber erträglicher. Jason erlebt den ersten Kuss eines Mädchens, kurz vor seinem 14. Geburtstag. Die Eltern lassen sich scheiden. Das Stottern löst sich nicht in Luft auf . Aber es deutet sich an, dass sich ein Credo von Mrs. de Roo, der Logopädin, erfüllt: „Stotternden Stotterern dabei zu helfen, dass aus ihnen nicht-stotternde Stotterer werden.“ Ein grandios geschriebenes, witziges, melancholisches und zugleich hochspannendes Buch, ein Genuss und ein Lehrstück für wirklich jeden Leser, weiß Gott nicht nur für Stotterer. Aber für die ganz besonders. Auf jeden Fall hat er unserer Sache mit diesem Buch einen großen Dienst erwiesen. Ich sage nur: LESEN! PS: Jason Taylor, die Romanfigur, ist 1982 13 Jahre alt, lebt im Nirgendwo von Mittelengland und schreibt heimlich Gedichte. David Mitchell ist 1969 geboren, war also 1982 13 Jahre alt, ist in der mittelenglischen Provinz aufgewachsen und schreibt heute, als mittlerweile erfolgreicher Autor, sehr authentisch über alle Phänomene des Stotterns. Ein Schelm, wem sich da Fragen aufdrängen? Gerd Riese --------------------------------------------------------------------- aus: Der Kieselstein, März 2008 Interview mit David Mitchel Mein Stottern ist wie ein geheimer Informant Als Jan Anderson vom BSA im August auf dem Edinburgh Book Festival mit David Mitchell, Autor des für den Booker Prize nominierten Buches Black Swan Green, sprach, nannte er einen wichtigen Anhaltspunkt für seinen Erfolg. JA: Können Sie mir etwas über Ihre Erfahrungen als Stotterer mitteilen? DM: Das ist in etwa so, wie ich es in dem Buch beschrieben habe. Zu meinem Entsetzen habe ich damals in der Volksschule festgestellt, dass ich einige Worte nicht sagen konnte und ich hatte keine Ahnung, warum das so war. Wenn man in dem Alter ist, kennt man das Wort „Stottern“ ja überhaupt nicht, man weiß nicht, was das ist. Alles, was man weiß, ist, dass man einen Defekt hat, einen Fehler. Und natürlich tut man alles, um sich irgendwie anzupassen. Man vermeidet gewisse Wörter oder schweigt. Ich war schon zehn oder elf Jahre alt, als ich endlich zu einer Logopädin gegangen bin. Aber Stottern ist eine solche Kontext-bezogene Sache, dass es, wenn man zu den Unglücklichen gehört, deren Stottern bei einer Sprachtherapie zu verschwinden scheint, wirklich ein Unglück ist, weil es nicht direkt angesprochen wird. Ich bin sicher, dass die Logopädie inzwischen einige Fortschritte erzielt hat, aber damals steckte sie noch in den Kinderschuhen und beschränkte sich auf die Frage: „Also hier hast du ein Bild mit einer Sache, die du nicht sagen kannst – sag mal ‚Katze’“. Zur Therapie selbst zu gelangen, war ziemlich schwierig, weil ich schon vorher vom Unterricht abgeholt wurde und die anderen Kinder natürlich wissen wollten, warum. Wenn man wie ich damals neun oder zehn Jahre alt ist, weiß man noch nicht, wie man damit umgehen soll. Dieses Szenario wiederholte sich ca. drei Jahre später. Das war die einzige Sprachtherapie, die ich gehabt habe und ich habe ziemlich versagt - obwohl ich damaligen und heutigen Logopäden gegenüber nicht respektlos sein möchte. JA: Mrs. De Roo, Jasons Logopädin in dem Buch, scheint ja ganz sympathisch zu sein. DM: Ja – meine Logopädin hieß Mrs. Lester. Sie gehörte zu den Menschen, die wie eine Erwachsene mit mir sprach. Solche Erwachsene machen auf Kinder einen ungeheuren Eindruck, weil es nicht viele Leute gibt, die so mit ihnen sprechen … Ich denke, heute gibt es immer mehr Erwachsene, die sich dessen bewusst sind, aber damals war es ziemlich ungewöhnlich. Sie zählte zu diesen ungewöhnlichen Menschen, die mich genauso behandelt haben wie andere auch, daher habe ich nur gute Erinnerungen an sie. JA: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für Ihr Stottern? DM: Das ist sehr interessant. Diese Frage fasziniert mich! Ich glaube, dass es, wie all diese Dinge, einen komplizierten Zusammenhang zwischen Veranlagung und Erziehung gibt. Das Potenzial zum Stottern ist wahrscheinlich genetisch bedingt. Und ob dieses Potenzial als Stottern wahrgenommen wird und in welchem Umfang, hängt von der Umwelt ab. Aber das ist gut, denn das bedeutet, dass wir es verbessern können. JA: Wie Mrs. de Roo sehr nett sagt, wenn es wieder aufflackert, kann man lernen, was man tun muss, um das Feuer zu löschen. Wie war das, ein nichtstotternder Stotterer zu sein? DM: Genau – das ist mein Ziel. JA: Ist Mrs. de Roos Charakter Ihre eigene Stimme? Oder erinnern Sie sich dabei an etwas, was ein Sprachtherapeut einmal zu Ihnen gesagt hat? DM: Es ist eigentlich die Stimme von Jimmy Greaves, der über Alkoholismus spricht! Er wollte Abstinenzler werden, weil er Alkoholiker war, sogar noch ehe er mit dem Trinken anfing – und er wird es immer sein. Aber er hat das Ziel, Abstinenzler zu werden. Ich möchte noch auf zwei weitere Dinge hinweisen, die Mrs. de Roo sagt. Erstens ist es ziemlich destruktiv, sein Stottern als Feind zu betrachten – mit sich selbst Krieg zu führen ist nicht gut. Zweitens: Willenskraft funktioniert nicht … das ist gegen die Intuition …, aber es ist dieser ganze Prozess des Versuchens, der es zum Aufflackern bringen kann. Es ist keine Frage von Gewalt, sondern eine Frage der Überlistung und noch mehr als das. Es ist eine Frage, wie man irgendwie damit zurechtkommt. Daher sollte man Stottern nicht als Krieg gegen sich selbst auffassen, in dem jeder verliert – sondern als gutartigen Parasiten betrachten, der ein Recht auf Leben hat. Wenn du dich mit ihm anfreunden kannst und ihn nicht wie etwas ansiehst, das dich in der Öffentlichkeit zu Tode beschämt, sondern eher wie einen Informanten für Sprache und Sprechen, der dich zu einem Spezialisten macht, dann gibt er dir Erkenntnisse und das Wissen, das Nichtstotterer niemals haben werden. Und es funktioniert – das ist das Beste, was ich jemals gespürt habe. Es gibt zwar einige linguistische Tricks, die sich Stotterer in meinem Alter ausgedacht oder gelernt haben, und auf die man manchmal zurückgreifen muss, wie z.B. Vermeiden oder ein Wort durch ein anderes ersetzen, aber das ist völlig in Ordnung, damit kann man leben. Hier ist eine schöne Metapher aus dem Science-Fiction-Bereich: Stell dir ein reflektierendes Kraftfeld vor. Je stärker du versuchst, darauf einzuhämmern, desto stärker wird die Kraft. Bis ein ganz Schlauer darauf kommt, dass man einen sehr schwachen Powerlaser nehmen soll, den schwächsten Laser, den es gibt, der das Kraftfeld durchdringen kann. Alle Laser, die stärker als der schwächste Laser sind, prallen ab und so ist es auch mit dem Stottern. Je mehr man sich dagegen wehrt, desto stärker wird es. Momentan spreche ich besser als jemals zuvor. Der Gedanke daran, so etwas wie dies hier zu tun, hätte mich damals in Angst und Schrecken versetzt und ich hätte alle möglichen Ausreden erfunden, um es nicht tun zu müssen, aber jetzt ist es völlig in Ordnung. Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass es gut ist, eine positive Haltung zum Stottern zu entwickeln, aber eine etwas militantere denjenigen gegenüber, die dir zuhören. Wenn es dir scheißegal ist, ob du vielleicht stottern könntest, dann stotterst du auch nicht. So funktioniert die Militanz. Vielleicht bist du eine nette Person und natürlich möchte ich nicht, dass du diese Militanz zeigst, aber du musst einfach denken „Die können mich mal“! Wir haben doch keine multiple Sklerose. Im Vergleich zu vielen anderen Menschen können wir uns wirklich glücklich schätzen. Und wenn ich trotzdem versage? Ich bin doch nicht mehr in einer Klasse voller grausamer Kinder – ich kann mich frei entscheiden, mit wem ich verkehren möchte. JA: Wenn du darüber nachdenkst, wo dein Stottern jetzt in deinem Leben ist, an welcher Stelle würdest du es platzieren? DM: Ich würde sagen es reicht vom Zentrum Londons bis nach Islington. Und manchmal ist es etwas näher und manchmal wieder weiter entfernt, z.B. in Harrow! JA: Und dein Stottern und die Auswirkungen sind etwas weniger geworden? DM: Ja. Einem stotternden Teenager würde ich raten: „Mach dir keine Sorgen.“ Ich hoffe, ich bin der Beweis dafür, dass man selbst mit einem starken Stottern – meines war mittelstark - als Erwachsener auf Radio 4 Live-Interviews geben kann und dies völlig in Ordnung ist. --------------------------------------------------------------------- aus: Der Kieselstein, Oktober 2008 Let me speak Stell dir vor, dass du, wenn du ein Wort sagen willst, das z.B. mit ‚N’ anfängt, plötzlich einen Aussetzer hast. Das Wort kommt nicht heraus. Du stockst mitten im Satz. Die Zuhörer runzeln verblüfft die Stirn: Eine Regel, die die Pausenlänge in Sätzen vorschreibt, wird verletzt. Du strengst dich doppelt, dreifach, sogar vierfach an, um das Wort herauszubringen, aber alles was herauskommt ist ein ‚N-n-n’ Laut. In deinem Kopf wird es heiß, so als würdest du das Gaspedal genauso heftig herunterdrücken wie die Bremse. Deine Augäpfel treten hervor. Dein Gesicht verzerrt sich wie das eines Epileptikers. Du schämst dich fast zu Tode, während die Zuhörer langsam begreifen. Einer bleibt seelenruhig, so als wäre nichts geschehen. Ein anderer ist verlegen, obwohl er im Gegensatz zu dir gar nicht weiß, was das Wort bedeutet. Wieder einer schaut zur Seite – etwa um sein Lächeln zu verbergen? Schließlich versetzt dir jemand den Gnadenstoß und sagt das unaussprechliche Wort für dich, überzeugt davon, dass er dir einen großen Gefallen damit getan hat. Jetzt stell dir vor, dass das nicht einmal alle zwei oder drei Monate oder alle zwei oder drei Wochen vorkommt. Nein, es geschieht zwei oder drei Mal im Satz. Stell dir schließlich vor, dass du keine liberalen ZEIT-Leser vor dir hast, sondern Kinder. Versetz dich also wieder in deine Schulzeit. Ich war ca. sieben oder acht Jahre alt, als mir bewusst wurde, dass mit meinem Sprechen etwas nicht stimmte. Ich erinnere mich an einen heißen Sommernachmittag, wahrscheinlich 1976 während der Dürreperiode. Unsere Lehrerin stellte uns eine Frage, auf die die Antwort – eigentlich unglaublich angesichts unseres Alters, aber Miss Hydes Erwartungen an uns waren ziemlich hoch - „Napoleon“ lauten musste. Erpicht darauf, sie zu beeindrucken, hob ich meine Hand, aber was als Nächstes geschah, habe ich bereits oben erwähnt. Es war ziemlich erniedrigend – und einige Mädchen fingen an zu kichern -, aber dass diese mysteriöse Krankheit immer wieder zuschlug, war einfach grauenvoll. Was war nur mit mir los? Wie konnte man das nennen? Warum war ich der Einzige auf der Welt, der diese Krankheit hatte? Ich erinnere mich, wie ich mit einem Baukasten in der Hand in eine Klinik in Southport ging, weil ich drei oder vier Jahre alt war bevor ich anfing zu sprechen, aber derartige Erfahrungen waren weitaus angenehmer. Nach welchen Gesetzmäßigkeiten tauchte es auf und verschwand wieder? Und warum nur bei Wörtern, die mit ‚N’ anfingen? Bald würde ich neun Jahre alt sein. Was würde ich tun, wenn man mich nach meinem Alter fragte? Die Logopädin hieß Mrs. Lester und sah aus wie eine weiße, liebenswürdige Hexe. Jedesmal wenn ich zu ihr ging, habe ich mich geschämt und meine Klassenkameraden angelogen, als sie wissen wollten, warum ich alle zwei Wochen dienstags früher gehen musste. Bei Mrs. Lester musste ich im Takt zu einem Metronom sprechen, aus Bilderbüchern vorlesen und Tagebuch darüber führen, wann ich stotterte und wie ich mich dabei fühlte. Das hat mir kurzfristig gut geholfen, aber langfristig überhaupt nicht. Als ich bei Mrs. Lester war, habe ich fast nie gestottert und nachdem ich ein paar Mal bei ihr gewesen war, hat sie meine Mutter beruhigt und gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche und dass ich es wahrscheinlich verlieren würde. Wir haben viel Trost in dieser optimistischen Prognose gefunden. (In den späten 70er Jahren war die Logopädie –vermutlich als Teil der Psychiatrie, noch in den Kinderschuhen und ich würde mich freuen, wenn ich auf diesen Artikel Zuschriften von verärgerten Logopäden oder Patienten erhalten würde, in denen sie darauf hinweisen, dass sich die Behandlungsmethoden seit jenen Tagen erheblich verbessert haben.) Aber außerhalb von Mrs. Lesters Einflussbereich war das Stottern wieder da. Schließlich wurde mir klar, dass es nicht das Gleiche wie Heuschnupfen war, den man durch die Einnahme einer Tablette kurieren konnte. Wenn man mich aufgefordert hätte, erneut zu Mrs. Lester zu gehen, hätte das die Vorstellung der Leute davon, dass ich ein Kind mit einem Problem war, nur noch verstärkt – schlechte Nachrichten in einem Lebensabschnitt, wo soziale Akzeptanz und Vorankommen die Normalität sind. Mit Ausnahme einiger weiterer Therapiesitzungen, als ich dreizehn war, bei denen das gleiche Schema Heilung/Rückfall wieder auftauchte, musste ich ganz alleine damit klarkommen. Kinder ersetzen den fehlenden Wortschatz oft mit Gleichnissen oder Metaphern und ich habe mir mein Stottern als eine Art Homunculus (künstlich geschaffener Mensch, Anm.d.Ü.) vorgestellt, der auf meiner Zunge lebte. Er und ich führten unaufhörlich Krieg miteinander ähnlich wie die NATO und der Warschauer Pakt. Der Homunculus vermied vorhersehbare Satzstrukturen. Für eine Weile ließ er mich ungehemmt sprechen bis meine Wachsamkeit nachließ, dann schlug er zu. Während einer Unterhaltung hob er Stotterworte hervor und kicherte, als meine Angst eine Attacke auslöste. Konventionelles Wissen verachtet er. Man sollte meinen, dass Stress das Stottern verstärkt, aber das muss nicht so sein. Bei meiner ersten öffentlichen Lesung als Schriftsteller in London, dessen Erstwerk kurz vor der Veröffentlichung stand –es war wahrscheinlich der stressigste Augenblick meines Erwachsenenlebens- verschwand mein Stottern. Dann wieder, wenn ich fröhlich und entspannt mit meinen Freunden und Familienangehörigen zusammen war, schlug es gnadenlos und ohne vorherige Warnung zu. Man weiß es vorher einfach nicht. Das Stottern verschwindet, wenn ich singe, wenn ich allein bin und mit mir selber spreche, wenn ich mit anderen Stotterern rede und wenn ich mich im Traum unterhalte. Telefongespräche waren fast immer problematisch für mich, Anrufbeantworter und Menschen mit einem stärkeren Symptom als dem meinen stellten kein so großes Problem dar. Stotternde, die eine gestörte Beziehung zu ihren Eltern haben –was bei mir nicht der Fall ist- erzählen mir, dass, wenn sie ihre Eltern besuchen, ihr Stottern stärker wird, aber ich habe nie festgestellt, dass es besser oder schlechter wird. Mit der Zeit ist mir jedoch aufgefallen, dass es im Frühling ausbricht und im Herbst schwächer wird. Worin besteht da die Logik? Wie kann ich den Feind besiegen, wenn sein Verhalten so unberechenbar ist? Als ich heranwuchs, hatte ich überhaupt keine Ahnung. Ich wusste nur, dass dieser Defekt ein verhängnisvoller Nachteil bei der offen zum Ausdruck kommenden Aggressivität von Kindern ist. Während eines Streits machte mein Kontrahent mein Stottern nach, die Umstehenden lachten und hatten natürlich gewonnen. Zum Glück für alle Beteiligten hatte ich nicht den Körperbau und die Kraft, meine Feinde ernsthaft zu verletzen, sondern mir blieb nur die Vorstellungskraft, dass ich es tun könnte. Meine einzige Strategie zur Schadensbegrenzung war eine Art von Vermeidung gewisser Wörter. Man überlegt im Voraus, bei welchen Wörtern man stottert und formt die Sätze so um, dass man diese Wörter nicht braucht. Zum Überlegen bleibt da nicht viel Zeit. (Ein guter Freund von mir, der als Kind gestottert hat, in Pakistan aufgewachsen und heute Schriftsteller ist, hat einige Jahre überhaupt nicht mehr geredet und nur per Stift und Schreibblock kommuniziert. Dies war in Worcestershire jedoch unvorstellbar.) Dank dieser Strategie ist es mir gelungen, mein Sprechproblem teilweise zu verbergen. Das hatte jedoch einen hohen Preis. Ich lebte in ständiger Angst davor, entdeckt zu werden, ausgeliefert zu sein, erniedrigt zu werden. Die Vermeidung ‚gefährlicher’ Buchstaben bedeutet außerdem, dass man sich im Unterricht nicht freiwillig meldet. Wenn ein Lehrer mir eine direkte Frage stellte, musste ich oft so tun, als wüsste ich die Antwort nicht, und die unangenehme Situation aussitzen. Was noch schlimmer ist, Schulkinder müssen manchmal im Unterricht laut vorlesen. Weihnachtsspiele, Erntedankfeste sind die Hölle! Jahrelang fürchtete ich mich davor, zum Sprecher der sechsten Klasse ernannt zu werden, da diese Auserwählten bei der morgendlichen Schülerversammlung etwas vorlesen mussten. Ich wurde zum Klassensprecher ernannt und nach einigen Höllenqualen bin ich auf den Knien zur stellvertretenden Schulleiterin gekrochen und habe sie um Gnade angefleht. (Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden hat sie mir Vollstreckungsaufschub gewährt und falls Sie dies jetzt in Ihrem wohlverdienten Ruhestand lesen, Mrs. Bassett, was ich hoffe, dann kann ich Ihnen sagen, dass dies die richtige Entscheidung war.) Wenn die Rollen für ein Shakespeare-Stück verteilt wurden, habe ich immer gehofft, Höflinge oder Boten spielen zu dürfen. Heimlich bin ich auf meine Lehrer zugegangen und habe sie gebeten, mir keine Sprechrollen zu geben. Ich hatte genauso viel Angst davor zu sagen, ‚weil ich stottere’, wie davor, dass sie das bereits wussten. Sie haben das respektiert, aber nicht ohne den Zusatz „Du musst dich am Riemen reißen“. Dem konnte ich nur zustimmen. Ich machte mir Sorgen, eine Arbeit zu finden. Die Politik Margaret Thatchers, den Mangel an Arbeitsstellen dadurch auszugleichen, dass Schulen dazu gebracht wurden, ihren Schülern die Kunst des Job-Interviews beizubringen, war damals gang und gäbe. Aber wie konnte ich meinem zukünftigen Arbeitgeber beweisen, wie gut ich war, wenn ich noch nicht einmal meinen Namen sagen konnte? Und was würde einen Arbeitgeber davor zurückhalten, mich rauszuschmeißen, nachdem er entdeckt hatte, dass ich ihn getäuscht hatte? Sollte ich Schweigemönch werden oder Kleinpächter oder Leuchtturmwärter? Mich am Riemen zu reißen war eine wunderbare Idee, aber im Zusammenhang mit einem Stottersymptom schien niemand mir sagen zu können, wie das funktionierte. Meine Hauptquelle, von der ich Trost und Informationen bezog –das Fernsehen- war in diesem Fall auch keine Hilfe. Die wenigen Stotterer im Fernsehen waren komische Figuren und haben mich nicht wirklich tangiert. Ronnie Barker spielte in „Open All Hours“ einen stotternden Gemüsehändler namens Arkwright, der mit seiner lächerlichen Darstellung eines mürrischen Stotterers im Satellitenfernsehen immer noch Stürme künstlich erzeugten Gelächters hervorruft. Ich habe schon bei dem Wissen geschwitzt, dass die Sendung im Fernsehen lief, denn ich war sicher, dass damit meine dürftige Tarnung in der Schule aufgedeckt würde. Michael Palins spätere Darstellung eines Stotterers in dem Film „A Fish Called Wanda“ war mir ein wenig sympathischer, aber meine Zehen kräuselten sich dennoch vor Beschämung. Dieser Film ebenso wie die Darstellung des Theaterbesitzers in „Shakespeare in Love“ setzt einen der Mythen fort, den informierte Nichtstotterer zitieren, wenn sie mit mir zu tun haben. Ich nenne diesen Mythos das „Augen-zu-und-durch“-Heilmittel. Es besagt, dass, wenn man einen Stotterer einem absoluten Horrorszenario aussetzt –wie z.B. vor einem großen feindlich gesinnten Publikum zu sprechen-, sein Stottern wie durch Zauberhand verschwindet. Leider alles Quatsch. Anekdotenhaft gibt es vielleicht ein paar solcher vorübergehenden „Heilungen“, aber wenn es um unzählige Situationen geht, wo sich ein Stotterer unter einem solchen Druck am Riemen gerissen hat, sind die Zahlen weniger zuverlässig. Es gibt einen weiteren Mythos – und zwar den Widerwillen meiner Lehrerin, mich vom Sprechen in der Öffentlichkeit zu befreien-, den ich den Willenskraft-Mythos nenne. Dieser behauptet, dass ein Stotterer mit einer an einen Rollstuhl gefesselten Figur in einem herzerwärmenden amerikanischen Film verglichen werden kann. Nach Angaben der Ärzte wird er nie wieder gehen können, aber seine wilde Entschlossenheit beweist, dass sie Unrecht haben. Dieser Mythos hat mich jahrelang glauben lassen, dass ich stottere, weil ich mir nicht genügend Mühe gab, nicht zu stottern. Dieser Homonculus lebt von wilder Entschlossenheit. Es ist genau wie bei einem Kraftfeld: Je mehr Willenskraft man aufbringt, desto stärker wird es und man endet wie eine stammelnde, Grimassen schneidende Comedy-Figur wie Arkwright der Gemüsehändler. Darüber hinaus –und dieser Mythos bezieht sich auf das Metronom meiner Logopädin- kann man seine Sprachsoftware nicht neu starten oder sich aus einem Sprachfehler „herausüben“. Stottern ist schließlich kein Golfschläger. Obwohl ich das Ausnutzen des Stotterns für komische Zwecke verurteile, ist die Hartnäckigkeit, mit der sich Stottermythen halten, verständlich. Es ist, wenn Sie so wollen, das Hindernis, das seinen Namen nicht sagen kann. Die Menschen haben weniger Hemmungen, mit Blinden über Blindheit oder mit Tauben über Taubheit zu reden. Stottern hingegen hat die Patina der Schande. Fremde vermeiden die unangenehme Situation, einem Stotterer gegenüberzutreten. Meine Freunde und Familienangehörigen haben das Gefühl, die bloße Erwähnung des Themas Stottern würde die gleiche Beschämung wie das Stottern an sich auslösen und bis vor kurzem hatten sie auch Recht damit. Selbst in der Literatur kenne ich nur einen einzigen ausgezeichneten Essay von John Updike, der ziemlich glaubwürdig klang, aber sonst nichts. (Übrigens kann man immer genau sagen, wann eine fiktive Stotterfigur auf persönlich gemachten Erfahrungen basiert: Sie stottert bei Worten, die mit irgendwelchen Buchstaben im Alphabet anfangen, während der richtige Stotterer nur bei Worten stottert, die mit zwei oder drei Buchstaben anfangen.) Dies führt mich dahin, warum ich diesen Artikel (und Black Swan Green) schreibe. Von geringerer Bedeutung ist das Ziel, Nichtstotternden eine Vorstellung davon zu geben, was es heißt, mit einer Sprechbehinderung zu leben. Mein Hauptziel ist jedoch klar zu machen, wie sehr ich mir gewünscht hätte, mir hätte jemand als Kind gesagt, wie ich mit meinem Stottern umgehen sollte. Vielleicht würde es demjenigen helfen, der in der Schule oder auf der Arbeit überleben muss. Aufgrund der weitläufigen Systematik des Stotterns ist das, was ich nachstehend schreibe, nicht für alle von Nutzen, die mit einem Homonculus in der Zunge leben. Aber irgendwann einmal, auch jetzt, ist das Folgende sehr nützlich für mich gewesen. Denken Sie mal daran, wie viel leichter es ist, mit einem Stammeln zurechtzukommen als mit einem Stottern. Worin liegt der Unterschied? Einige Experten behaupten, Stottern und Stammeln sind das Gleiche, aber ich neige eher zu der folgenden Definition: Beim Stottern wird die erste Silbe des Wortes mehrmals wiederholt wie ein Maschinengewehr, die zweite Silbe wird nie erreicht. Beim Stammeln hingegen wird noch nicht einmal die erste Silbe artikuliert, so dass der Satz ein immer größer werdendes Loch kriegt. Ich glaube, dass man in diesem Loch, dieser Lücke die Stille, die Ruhe finden kann, die man braucht, um das nächste Wort herauszubringen. Wenn Sie also stottern, gönnen Sie sich einfach eine Pause, bevor Sie zu dem gefährlichen Wort kommen. Ein stabiler Satzanfang ist besser als nervöser Stress. Wenn die Sprache zum Feind wird, besteht die Versuchung, wie ein Maschinengewehr zu sprechen, damit man das verdammte Zeug so schnell wie möglich loswird. Die meisten Menschen jedoch sprechen nicht wie CNN-Nachrichtensprecher. Nehmen Sie sich Zeit. Ihre Sätze sind Ihre Schöpfungen und wenn Ihre Zuhörer nicht bereit sind, Ihnen genug Zeit zu geben, sollen sie sich zum Teufel scheren. Wenn Sie ein Wort, bei dem Sie stottern, erreichen, täuschen Sie eine Pause vor. Tun Sie so, als würden Sie über das beste Wort nachdenken, das Sie als Nächstes sagen wollen. Besonders wenn Ihre Zuhörer meinen, dass dies Ihr normales Sprechmuster ist, werden sie nicht wissen, dass Sie eigentlich darauf warten, dass der Homonculus einen Rückzieher macht, seine Deckung vernachlässigt oder einfach das Interesse verliert. Oft kommt das Wort einfach heraus, wenn man nicht darüber nachdenkt. Wenn nicht, gibt Ihnen die falsche Pause die Möglichkeit, den Satz abzubrechen, so zu tun, als hätten Sie einen besseren Weg gefunden, um es zu sagen, und den Satz neu zu formulieren ohne das Stotter-Wort. Vielleicht die letzte Hoffnung, aber viel besser als zu stottern. Die nächste Methode könnte man als die „Streifmethode“ bezeichnen. Vielleicht liege ich falsch, aber ich denke nicht, dass Sie bei Vokalen stottern. Momentan habe ich Probleme mit dem ‚S’. Wenn ich z.B. das Wort ‚serendipity’ sagen soll, tue ich so, als hieße das Wort ‚erendipity’ (damit habe ich kein Problem), ich streife also nur kurz das ‚s’. Das Wort kommt raus ohne dass jemand bemerkt, dass der Konsonant abgeschnitten wurde. Ich habe immer Schwierigkeiten mit der zweiten Silbe in dem Wort „embarrass“, obwohl ich bei „b“ momentan nicht stottere. Der Trick dabei ist, das Wort wie zwei Wörter, „em“ und „barrass“ zu behandeln mit einer kurzen Pause zwischendrin. Das klingt vielleicht ein bisschen merkwürdig, aber ein bisschen ist okay. Die letzte Strategie ist die längste. Es ist weniger ein sprachliches Problem als eine Denkweise. Das, was Stottern auslöst, ist mit unserer Wahrnehmung des Zuhörers verknüpft. Deshalb stottern wir auch nie, wenn wir allein sind. Ich denke, wir stottern hauptsächlich deswegen, weil wir Angst davor haben, dass uns jemand beim Stottern zuschaut. Wenn das Stottern selbst immun gegen einen Angriff ist, wie meine eigene Erfahrung gezeigt hat, sollte man die Angst angehen. Nehmen Sie eine Haltung militanter Gleichgültigkeit gegenüber dem an, was unsere Zuhörer denken könnten, wenn wir stottern. Denken Sie: Okay, ich brauche, nein ich will einige extra Sekunden, bis ich bereit bin, das nächste Wort zu sagen, und wenn ihr ein Problem damit habt, dann *** ich auf euch. Lacht doch einfach, dann brauche ich keine Zeit mehr mit euch zu verschwenden. Diese militante Gleichgültigkeit ist bestimmt leichter zu verwirklichen, wenn man ein Schriftsteller Ende 30 ist, aber selbst für ein Schulkind in der zehnten Klasse in einem rauen Nord Londoner Umfeld, das nicht die Freiheit hat, die Menschen, mit denen es verkehrt, selbst auszusuchen, könnte es nützlich sein. Ich hoffe es jedenfalls. Abgesehen davon, dass es das Selbstbewusstsein erhöht: Je absoluter diese Gleichgültigkeit beibehalten werden kann, desto seltener muss sie angewandt werden. Man stottert weniger. Ich wollte, ich könnte mein dreizehnjähriges Selbst anrufen und ihm sagen, dass es keine Zauberformel gegen das Stottern gibt. Zunächst wäre es bestimmt niedergeschlagen, aber was ich als Nächstes sage, sollte als Aufheiterung dienen. Man wird ziemlich geschickt in der Anwendung der hier aufgezeigten Strategien. Die Leute hören auf, einen als Stotterer zu bezeichnen. Viele Leute, die die Korrekturfahnen von Black Swan Green gelesen haben, fragten mich, wie ich meine Forschungen über das Stottern betrieben habe. Sie alle können doch nicht mein Selbstwertgefühl verbessern wollen. Viele Leute stolpern über Wörter, ohne als Stotterer bezeichnet zu werden, genauso wie ständig irgendwo die Erde bebt, was jedoch solange nicht als Erdbeben registriert wird, bis ein gewisser Schweregrad erreicht wird. Streben Sie danach, die Schwere Ihres Stotterns unter diesem Schweregrad zu halten. Ein berühmter ehemaliger Fußballspieler, der Alkoholiker ist, sagte einmal, dass es nicht möglich ist, Alkoholismus zu heilen. Stattdessen versuche er, ein abstinenter Alkoholiker zu werden. Ich denke, dass es für uns ein realistisches und gesundes Ziel ist, nicht stotternde Stotterer zu werden. Hier meine Vorstellung: Hören Sie auf, Ihr Stottern zu besiegen. Die Metapher über den Homunculus oder wie Sie sich das vorstellen wollen, wird letzten Endes Ihrer Entschlusskraft im Wege stehen. Verändern Sie Ihre Wahrnehmung des Stotterns. Hören Sie auf, es als Feind zu betrachten, der bezwungen werden muss: Es ist ein integraler Bestandteil Ihres Denkprozesses, wie Sie andere wahrnehmen und Sprache verarbeiten. Einen Teil von sich selber zu hassen, war noch nie hilfreich (im Gegensatz zu einem unerwünschten Charakterzug). Ihr Stottern ist geprägt von Ihrem Verhältnis zur Sprache und bereichert sie, und sei es auch nur deshalb, weil man mehr Strukturen und Vokabeln benötigt. Sicherlich, man verinnerlicht das Stottern, aber vieles spricht dafür, vor dem Sprechen zu denken. Wenn ich wie meine insgeheim von mir bewunderten Klassenkameraden flüssige, mühelose Sätze hervorgebracht hätte, hätte ich wahrscheinlich niemals das Bedürfnis verspürt, sie niederzuschreiben oder Schriftsteller zu werden. Genau wie Sie irgendwo leben, sind Sie irgendjemand, und wenn Ihre Unzulänglichkeiten, Beschränkungen und Handicaps Ihre Freunde nicht abschrecken, warum sollten diese dann nicht genauso gleichwertige Bestandteile Ihrer Persönlichkeit sein wie Ihre Talente? Ich habe viel zu lange damit verbracht, einen nicht enden wollenden, ungewinnbaren, mein Selbstwertgefühl zerstörenden Krieg gegen mich selbst zu führen, um mich für diese tröstende Schlussfolgerung zu entschuldigen. Versuchen Sie, Ihren „Defekt“ –in welcher Form er auch immer daherkommt- zu verstehen und daraus zu lernen. Freunden Sie sich mit ihm an.